„Sabine hört jetzt auf sich. Und sie geht.“
- doris.jax
- 24. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Sabine war 52, als sie das erste Mal in einer Berghütte aufwachte und wusste:
Ich will mein Leben nicht mehr zurück – ich will es ganz neu.
Es war früh. Noch dunkel. Nur das knacksen des Holzofens, der Geruch von Rauch , von feuchter Bergluft, von Kaffee der bereits am Holzofen stand. Und diese Ruhe – diese unverschämte, tiefe, ehrliche Ruhe, die sie in ihrem Alltag nicht mehr gespürt hatte.
Es war ihr zweites Retreat in den Bergen. „Back to the Roots“ hieß es. Und genauso fühlte es sich an. Nicht wie ein Wellnesswochenende. Sondern wie eine Rückkehr.

Zu sich.
Sabine hatte so vieles hinter sich gelassen: Ein Leben im Funktionieren, das sie leer gemacht hatte. Eine Ehe, in der sie verstummt war, weil sie von Beginn an betrogen wurde und sie es immer wieder zugelassen hatte. Freundschaften, die sich einfach still verabschiedet hatten. Und diesen ewigen Kampf darum, endlich „genug“ zu sein.
Beim ersten Retreat war sie noch vorsichtig gewesen. Hatte sich leise herangetastet – an das Barfuß gehen über feuchte Wiesen, an das Sonnenuntergangs-Yoga mit Blick ins Tal, an die schamanischen Rituale am Lagerfeuer, wo Frauen alte Geschichten verbrannten und neue Visionen ins Feuer flüsterten.
Sie hatte geweint. Laut, befreiend, voller Zorn. Nicht, weil jemand sie verletzt hatte. Sondern weil sie sich selbst so lange nicht erlaubt hatte, zu fühlen.
Beim Sonnenaufgang am zweiten Tag, als sie in der Stille auf ihren Schlafsack saß, die Hände im Schoß, der Atem den sie mit der kühlen, feuchten Morgenluft einzog – da hatte sie es zum ersten Mal gespürt: Ich bin noch da. Ich war nie weg. Ich war nur leise.
„Wenn du deine Wut nicht mehr unterdrückst, sondern durch sie hindurchgehst, entsteht Platz. Und in diesem Platz tanzt die Freude barfuß.“
[unbekannt]
Heute ist Sabine wieder hier.
Mit anderen Frauen. Frauen, die Geschichten mitbringen – von Brüchen, von Neuanfängen, von Stille, von Wut. Sie lachen zusammen, sie schweigen zusammen. Sie teilen Tee, Tränen, und diese eine Kraft, die nur Frauen kennen, die sich wieder erinnern.
Der Barfuß Nature Walk – für manche eine Grenzüberschreitung, für Sabine bereits längst ein Ritual geworden. Jeder Schritt über Wurzeln, Moos, Steine ein Schritt zurück zu sich selbst.
In der Hütte, wenn der Tag vorbei ist, sitzen sie zusammen. Keine Filter. Kein Smalltalk. Kein Verstellen. Keine Schminke, denn sie sind unter sich. Sie sind pur.
Nur echte Geschichten. Und das große Wissen: Wir sind nicht allein.
Sabine kennt jetzt diesen Moment. Wenn man oben am Berg steht, den Wind im Gesicht spürt, die Sonne untergeht, und irgendwo ein Waldkauz ruft.
Dann spürt sie: Es war nie die Welt, die sie zurückgehalten hat. Es war sie selbst. Und jetzt lässt sie los. Jedes Mal ein bisschen mehr. In der Stille, im Ritual, im gemeinsamen Lachen – in der Erinnerung daran, wer sie ist.

Frauen und ihre unterdrückte Wut
Und so kehrt sie immer wieder zurück. Nicht, weil sie sucht. Sondern weil sie gefunden hat –ihre Stimme, ihre Wut, ihr JA zu sich selbst.
Und weil sie weiß: In der Gesellschaft vergisst man leicht, wer man ist. Aber auf dem Berg – mit nackten Füßen, mit der Sonne im Gesicht und dem Feuer im Kreis der Frauen –da wird man wieder ganz.

Heavy-Mental-Tipps, die mir Doris lehrte:
1. Wenn du Wut spürst – dann ist da Leben.
Wut ist kein Fehler im System.
Wut ist ein innerer Kompass, der dir zeigt, wo du dich selbst verrätst.
Lass sie da sein. Schreib sie auf. Schrei sie raus.
Nicht gegen dich – für dich.
2. Hör auf, um Erlaubnis zu bitten.
Du brauchst keine Absolution, um dein Leben zu verändern.
Niemand wird dir sagen: Jetzt darfst du endlich du sein.
Du bist die Instanz. Du bist die, auf die du wartest.
3. Nicht alles ist deins.
Was andere über dich denken, sagen oder fühlen – ist nicht deins.
Ihre Ablehnung? Vielleicht ihre Angst.
Ihr Schweigen? Vielleicht ihre Grenze.
Du darfst aufhören, das alles persönlich zu nehmen.
4. Komfortzonen-Crash ist Wachstum.
Barfuß durch den Wald laufen, in einer Traditionshütte zu schlafen, deine Geschichte im Kreis der Frauen erzählen – das ist kein Retreat-Spaß. Das ist eine Wiedergeburt. Du musst nicht komfortabel leben. Du musst echt leben.
5. Es geht nicht darum, stark zu sein.
Stärke ist kein Schauspiel. Stärke ist, jeden Morgen aufzustehen, obwohl dein Herz schwer ist – und trotzdem weiterzugehen. Mit weichen Knien und mit offenen Augen.
6. Spirituell sein heißt nicht, brav zu sein.
Du darfst Yoga machen und trotzdem fluchen. Du darfst meditieren und trotzdem Menschen aus deinem Leben entfernen. Du darfst lieben – und trotzdem Nein sagen. Dein Weg ist roh, weiblich, wild.
7. Dein Körper ist keine Baustelle.
Er ist ein wahres Geschenk. Nicht etwas, das optimiert werden muss. Sondern etwas, das dich durch alles getragen hat. Geh mit ihm durch den Wald. Berühr ihn. Beweg ihn. Feier ihn. Nicht morgen – heute.
8. Lass die Masken fallen.
Du musst keine perfekte Businessfrau, liebevolle Mutter, toughe Kämpferin oder spirituelle Göttin gleichzeitig sein. Sei einfach du. Mal weich. Mal laut. Mal unklar. UND echt.
In tiefer Verbundenheit aus den Berge. Wir sehen uns.
Sabine die losgelassen hat und ging.
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